„Desinformation ist im Kern politisches Handeln“
Demokratische Regression und die Frage, wer die Macht hat über Nachricht und Meinung in der digitalen Öffentlichkeit
Frankfurt am Main, 30. Juni 2025. Der Zusammenhang zwischen Demokratieverfall und Desinformation ist längst offensichtlich. Desinformation sei eine Art Medium geworden, stets auf einer Lüge basierend, abseits des Mainstreams, und markiere damit einen politischen Standort, sagt die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann. Aus Sicht der renommierten Internetforscherin sind wir in der Diskussion über Desinformation „früh falsch abgebogen“. Statt Plattformen und Algorithmen allein verantwortlich zu machen, „sollten wir Desinformation als Symptom für Demokratieverfall verstehen“.
In der ersten Keynote des diesjährigen forum medienzukunft, einer Veranstaltungsreihe der Medienanstalt Hessen, wird Jeanette Hofmann sich mit der „Autokratisierung im öffentlichen Raum“ befassen. Die Professorin für Internetpolitik an der FU Berlin, die u.a. auch Direktorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft ist, wird aufzeigen, dass Desinformation kein kognitives Versagen, sondern im Kern politisches Handeln ist.
Für Nicole Diekmann, Korrespondentin im Berliner Hauptstadtstudio des ZDF, ist „Desinformation Gift für eine hypermedial versorgte Gesellschaft“. Aus ihrer Sicht gibt es zu viele Informationen, zu viele Kanäle, zu viele Sender, um noch den Überblick zu behalten. Das sei in Kombination mit der Tatsache, dass immer etwas im Gedächtnis hängenbleibe, „eine Katastrophe“. Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann übernimmt den Part nachgefragt zu Jeanette Hofmanns Keynote.
Wer aber hat die Macht über Nachricht und Meinung in der digitalen Öffentlichkeit? Mit dieser Frage setzt sich Christoph Neuberger auseinander, wenn der Direktor des Weizenbaum-Instituts eine Standortbestimmung des „Journalismus zwischen Big Tech und Populismus“ unternimmt. Dazu betrachtet Neuberger zunächst eine ebenso wechselhafte wie opportunistische Beziehung, die immer wieder für Schlagzeilen sorgt. „Donald Trump und Elon Musk führen vor, wie sich politische und ökonomische Macht mit publizistischer Plattform-Macht verknüpfen lassen,“ konstatiert der Professor für Kommunikations- und Publizistikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Daraus ergebe sich die drängende Frage, wie sich – trotz dieser Machtkonzentration – Nachrichtenverbreitung und Meinungsbildung in der Öffentlichkeit der liberalen Demokratie sichern lassen. „Über die Regulierung von Plattformen hinaus“, so Neuberger, „müssen Alternativen gefördert werden, die sich am Gemeinwohl orientieren.“
Aus Sicht von Vanessa Bitter ist „Nachrichtenkompetenz eine zentrale Voraussetzung für eine starke und wehrhafte Demokratie“; in einer Zeit, in der Desinformation und populistische Narrative sich rasant über soziale Medien verbreiten, brauchen Bürger und Bürgerinnen die Fähigkeit, Informationen kritisch einzuordnen und faktenbasiert zu urteilen, so die verantwortliche Managerin der Initiative UseTheNews. Vanessa Bitter stellt die Nachfragen zu Christoph Neubergers Vortrag, der zweiten Keynote des forum medienzukunft.
Über den politisch-sozialen Entwicklungen und den Veränderungen im medialen Ökosystem schwebt eine transatlantische Begriffsverwirrung. Darüber, was Meinungsfreiheit und was Zensur ist, haben sich Maßstäbe diesseits und jenseits des Atlantiks verschoben: Meinungsfreiheit vs Freedom of Speech. „Was lange Zeit nur ein geschwisterlicher Gegensatz unter freiheitlichen Demokratien war, gewinnt unter der offen antidemokratischen Trump-Administration bedrohliche Konturen“, sagt Mathias Hong. „Wenn es um Abwehr gegen staatliche Eingriffe geht, ist die Verfassungspraxis in den USA zum einen weit radikaler als in Deutschland oder Europa“, stellt Hong, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl und Autor bei Verfassungsblog.de, fest. Zum anderen gibt es weder verfassungsrechtliche Pflichten zur Medienregulierung noch einen grundrechtlichen Schutz vor Bedrohungen der Meinungsvielfalt, etwa durch die mächtigen Netzunternehmen. Im abschließenden Denkzettel setzt sich Mathias Hong mit dem Begriffspaar „Meinungsfreiheit vs Freedom of Speech“ auseinander.
Das Ziel von Regulierung ist, betont Murad Erdemir, „durch Normierung Freiheit zu ermöglichen“, und begründet es so: „Denn nur in dieser Freiheit sind der demokratische Diskurs und damit das ‚Geistesleben‘, wie die Verfassungsrichter es nennen, lebendig zu halten“, erläutert der Direktor der Medienanstalt Hessen. „Wenn Ideen und Gedanken nicht mehr artikuliert werden aus Angst vor Shitstorms und Hass-Attacken, macht Selbstzensur jedwede Zensur, den Eingriff von außen, überflüssig.“
Ihm sei wichtig, mit dem forum medienzukunft „einen Diskursraum zu schaffen, um die Veränderungen und auch Verwerfungen in Medien und Gesellschaft zu verstehen und nach Handlungsoptionen zu suchen“. Zugleich richtet er mit Blick auf die digitalen Resonanzräume der Jugend einen dringenden Appell an die demokratischen Parteien: „Meiden Sie TikTok nicht. Gehen Sie da rein. Seien Sie dort sichtbar. Seien Sie dort ansprechbar. Wer die politische Meinungsbildung der Zukunft mitgestalten will, der darf TikTok nicht ignorieren“, so der Direktor der gastgebenden Medienanstalt Hessen, Murad Erdemir.
Das forum medienzukunft ist eine Veranstaltungsreihe der Medienanstalt Hessen und befasst sich in seinen jährlichen Ausgaben mit Veränderungen und Umbrüchen in Medien und Gesellschaft, die die Digitalisierung auslösen, und daraus resultierenden Herausforderungen.
Weitere Informationen unter https://forum-medienzukunft.de
forum-medienzukunft
VER-RÜCKTE WAHRNEHMUNGEN.
VER-RÜCKTE WAHRHEITEN.
Die verschobenen Machkoordinaten der Kommunikation und ihre Folgen für die Demokratie
am Dienstag, 01. Juli 2025
In der Evangelischen Akademie Frankfurt am Main
Rückfragen an: Büro Ingrid Scheithauer | Zedernweg 5 | D-53340 Meckenheim
Ulrike Oertel | Tel. 0160 73 74 624 | oertel@ingridscheithauer.de
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