Pressemitteilung

Ver-rückte Wahrnehmungen, ver-rückte Wahrheiten

Tagungsbericht: Wie Populismus und Propaganda die Demokratie destabilisieren

… und was dagegen unternommen werden könnte

 

Frankfurt am Main, 2. Juli 2025. Angesichts neuer Allianzen von staatlicher und Medienmacht, von Kapital und Kommunikationsmacht geraten Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit immer mehr unter Druck. Der Zusammenhang von Desinformation und Vertrauensverlust in die Demokratie stand im Mittelpunkt des forum-medienzukunft der Medienanstalt Hessen. Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft und Journalismus haben am 1. Juli in der Evangelischen Akademie Frankfurt die Folgen von gefälschten Informationen diskutiert. Vor dem Hintergrund der demokratischen Erosion in den USA, ging es bei der Tagung um „ver-rückte Wahrnehmungen“ und „ver-rückte Wahrheiten“.

Murad Erdemir, Direktor der Medienanstalt Hessen, sprach bei seiner Begrüßung von „verschobenen Macht-Koordinaten der Kommunikation“ und einer „Verschmelzung von Kommunikationsmacht, Geld und Politik“ in einer Welt von „verzerrten Wahrnehmungen und alternativen Wahrheiten“. Bei den Zensurvorwürfen der US-Regierung angesichts von Regulierungsbestrebungen der Europäischen Union handele es sich um „Ablenkungsmanöver“. Ohne eine Regulierung der Meinungsmacht der großen Online-Konzerne gerate die Freiheit im demokratischen Diskurs in Gefahr. Um Verstöße gegen die Menschenwürde oder den Jugendmedienschutz zu ahnden und um Volksverhetzung oder politischen Extremismus zu unterbinden, würden die Landesmedienanstalten inzwischen sehr effizient auch Künstliche Intelligenz einsetzen.

Die Grenze zwischen Meinungen, die man auszuhalten habe, und Hetze, gegen die eine Demokratie sich besser heute wehrt, um morgen noch zu existieren, sei kaum scharf zu ziehen. Schließlich müssten Äußerungen nicht illegal sein, um sukzessive unsere Demokratie zu zersetzen. Würde man die Abgründe von Hass, Hetze und Desinformation jedoch rigoros zuschütten, wäre die Redefreiheit gleich mitbeerdigt. Murad Erdemir sprach deshalb von einer „Wertordnungsvorsorge“, die nur gelinge, wenn neben Intervention und Repression auch Prävention einer gemeinsamen Architektur unterstellt würde. Es gelte, neben der Vermittlung von Nachrichtenkompetenz auch das Bewusstsein für gemeinsame Werte und für Verantwortung zu schärfen. Ein wichtiger Faktor zur „Verbesserung der Informationsökologie“ sei außerdem gut recherchierter Journalismus und die Sichtbarkeit verlässlicher Inhalte.

Benedikt Kuhn, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Hessen, betonte in einem Video-Grußwort, dass mit der „steigenden Medienvielfalt“ auch ein „Vertrauensverlust in die Medien“ einhergehe. Weil sowohl Medien als auch Politik vom Vertrauen lebten, müssten neue Antworten gefunden werden: „Nie war eine verlässliche seriöse Informationsquelle wichtiger wie jetzt.“

Mit den aktuellen Entwicklungen in den USA setzte sich Mathias Hong in seinem Vergleich des amerikanischen Verständnisses von Freedom of Speech mit dem europäischen Konzept von Meinungsfreiheit auseinander. Hong, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, bezeichnete Trumps Vorgehen in den USA als den „heftigsten Angriff auf die Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg“. Dafür werde auf Desinformation und Gaslighting, also auf verwirrende Verleugnung und Irreführung, Widerspruch und Lügen gesetzt. Hong sprach in diesem Zusammenhang von „propagandistischem Populismus“ und „Selbstbereicherung durch Manipulation“. Dadurch drohe der ältesten Verfassungsdemokratie der Welt ein „autokratischer Übernahmeversuch“.

Jeanette Hofmann, Direktorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG), vertrat die These, die Verbreitung von Desinformation sei Ausdruck einer Erosion von Vertrauen in die Demokratie. Für die Annahme, dass Desinformation verhaltensändernd sei oder gar Menschen verdumme, gebe es keine wissenschaftlich belastbaren Belege. Während die Kategorien „richtig“ und „falsch“ für politische Diskurse wenig hilfreich seien, würden Narrative „im Graubereich von Fakten, Gerüchten, Meinungen oder Lügen“ eingesetzt, um politisches Handeln zu vermitteln. An die Stelle von Evidenz, Fakten und Systemvertrauen trete zunehmend die Strategie der „Personalisierung von Vertrauen“. Jeanette Hofmann, die als Professorin für Internetpolitik an der Freien Universität Berlin lehrt, beschrieb eine „Rückentwicklung der Standards, forciert durch Populismus“. Dadurch sinke das Vertrauen in die Demokratie, und es entstehe bei vielen eine „große Sehnsucht nach charismatischen Führern".

Auf die Nachfrage der ZDF-Korrespondentin Nicole Diekmann (ZDF-Hauptstadtstudio Berlin), welche Rolle soziale Online-Netzwerke für den Vertrauensverlust der Demokratie spielten, wenn ihre die Wirklichkeit verzerrenden Botschaften nicht direkt ausschlaggebend seien, präzisierte Jeanette Hofmann, Social-Media-Kanäle würden gute „Formate“ für die Desinformation von politischen Akteuren bieten. Diese würden dann häufig von klassischen Medien weiterverbreitet. Als Beispiele dafür nannte die Wissenschaftlerin die Angebote von Nius, Bild und Welt. Und warum lassen viele Nutzerinnen und Nutzer Desinformation zu und verzichten darauf, falsche oder gar gefälschte Nachrichten zu hinterfragen? „Viele Leute wollen desinformiert werden, weil sie ein Schwert gegen die Demokratie nutzen wollen, weil sie nicht mehr an ein gemeinsames soziales Gestalten glauben“, lautete die Vermutung von Jeanette Hofmann.

Nicole Diekmann schlug eine „Art Spotify für Journalismus“ vor, also eine Plattform, über die verschiedene Inhalte unterschiedlicher Medienmarken gleichzeitig verfügbar wären. Ein solches Projekt scheitere vermutlich an den Sorgen etablierter Medienhäuser um ihre Marken und daran, dass Zeitungs- und Zeitschriftenverlage um den direkten Kontakt zu ihren Leserinnen und Lesern fürchten würden, mutmaßte Jeanette Hofmann, die unter anderem auch die Projektgruppe Politik der Digitalisierung am Wissenschaftszentrum Berlin leitet. 

Christoph Neuberger, Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, skizzierte anschließend Herausforderungen für den Journalismus „zwischen Big Tech und Populismus“. Die Konversion von ökonomischer, politischer und publizistischer Macht führe zu einer Verstärkung von Meinungsmacht, für die es an Regulierungsansätzen fehle. Hinzu komme, dass Trump und Musk ihre Plattformen nicht nur als wirtschaftliche Erlösquellen, sondern auch als „politische Sprachrohre“ nutzen würden. Christoph Neuberger konstatierte eine „Affinität zwischen Plattformen und Populismus“, wobei ein „zuspitzender Kommunikationsstil“ am besten zur Algorithmen-Logik der digitalen Plattformen passe. Schließlich entwickle sich Populismus als „anti-elitäre Haltung“ zur Abgrenzung gegenüber der Demokratie und Journalismus werde für viele zum Feindbild.

Die digitale Technik erweise sich als „gigantischer Feldversuch“, bei dem Journalismus „im laufenden Prozess“ erprobt werden müsse, lautete die Diagnose von Christoph Neuberger, der als Wissenschaftlicher Geschäftsführer und Direktor des Weizenbaum Instituts aktuelle gesellschaftliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung untersucht, um künftige politische und wirtschaftliche Handlungsoptionen zu entwickeln. Digitale Plattformen würden in vielen Bereichen den Ansprüchen einer liberalen Demokratie nicht gerecht. So seien außer der Meinungsfreiheit auch Gleichheit (durch digitale Spaltung) und Vielfalt (durch Medienkonzentration) bedroht. Die gewünschte Wissens- und Diskursqualität sei angesichts von Desinformation, Hasskommentaren oder Propaganda nicht gewährleistet und der gesellschaftliche Zusammenhalt durch Polarisierung gefährdet.

Um deliberative öffentliche Diskurse zu ermöglichen, so forderte Christoph Neuberger, müssten Plattformen reguliert und Journalismus staatlich gefördert werden. Auch er wünschte sich journalistische Plattformalternativen. Darüber hinaus müsse die Innovationsfähigkeit des Journalismus gestärkt werden. Um Vertrauen bei den Rezipientinnen und Rezipienten zu gewinnen, empfahl der Kommunikationswissenschaftler außer der Förderung der Rezeptions- und Kommunikationskompetenz auch redaktionelle Konzepte für eine bessere Fehlerkultur sowie die Einordnung und Kuratierung fremder Inhalte. Im anschließenden Gespräch mit Vanessa Bitter, die 2024 das dpa-Projekt „Jahr der Nachricht“ geleitet hat, machte Christoph Neuberger deutlich, dass sich Journalismus den Spielregeln der digitalen Plattformen anpassen müsse, wenn er relevante Reichweiten anstrebe. So ließen sich neue Zielgruppen erreichen, um den Wert von Journalismus und Nachrichtenkompetenz zu vermitteln. Vanessa Bitter berichtete als Chief Operating Officer der UseTheNews gGmbH von digitalen und analogen Projekten für junge Menschen, mit denen Journalismus unmittelbar erfahrbar werde. 

Mit Blick auf eine mögliche Regulierung bietet der Digital Services Act der Europäischen Union nach Einschätzung von Christoph Neuberger durchaus Spielräume, um digitalen Plattformen mehr Verantwortung zuzuweisen. Dies sei etwa der Fall, wenn „systemische Risiken“ drohen würden. Um diese aber nachzuweisen, bedürfe es eines „Zusammenspiels zwischen Regulierung und Forschung“. Nur wenn wissenschaftliche Einrichtungen über die entsprechenden Daten verfügen würden, ließen sich Risiken identifizieren, und die EU könne gegebenenfalls Betätigungsmöglichkeiten der Big-Tech-Konzerne“ einschränken, urteilte Christoph Neuberger. Angesichts zu befürchtender Proteste von Nutzerinnen und Nutzern aber sei dies kein leichter Weg.

Dass in den USA mit einer Regulierung der Online-Konzerne im Sinne der Stärkung demokratischer Ideale nicht zu rechnen ist, wurde im abschließenden „Denkzettel-Vortrag“ von Mathias Hong deutlich. Zwar gelte in den USA wie in Europa die Gedankenfreiheit. Das Konzept von „Freedom of Speech“ aber sehe – anders als das Modell von Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland – keine präventiven Maßnahmen einer „wehrhaften Demokratie“ vor. 

 

Die Tagung wurde von Frederik Steen moderiert und vom Büro Ingrid Scheithauer konzipiert.

Matthias Kurp

Matthias Kurp ist Professor an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln

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