Pressemitteilung
Internationale Informationsmanipulation
Wie die Propaganda einer weltweiten Desinformations-Industrie die Demokratie bedroht, und was wir dagegen unternehmen können
Frankfurt am Main, 14. Juni 2023. Im Kampf um die politische Deutungshoheit werden öffentliche Diskurse zunehmend nicht nur durch Desinformation und Dekontextualisierung, sondern auch durch die Informationsmanipulation staatlicher Akteure verzerrt. Spätestens seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine destabilisiert Putins Propaganda demokratische Meinungs- und Willensbildungsprozesse, setzt auf Narrative von Verschwörung und versucht, dem evident Faktischen Fake News entgegenzusetzen. Beim forum-medienzukunft der Medienanstalt Hessen diskutierten Expertinnen und Experten am 13. Juni in der Evangelischen Akademie Frankfurt die Folgen von staatlich gefälschten Informationen. Dabei ging es auch um Strategien, um der Manipulation von öffentlicher Meinung entgegenzuwirken.
Murad Erdemir, Direktor der Medienanstalt Hessen, skizzierte bei seiner Begrüßung das Spannungsfeld zwischen Informations- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite sowie einer „Flut von Halbwahrheiten und Lügen“ auf der anderen Seite. Er verwies auf weltweit bis zu sechzig Firmen, die sich als „Desinformations-Industrie“ darauf spezialisiert hätten, Fakten zu fälschen und die öffentliche Meinung zu manipulieren. So seien Demokratien unter Druck geraten, und zwar von innen durch Populismus, „der befeuert wird durch die Aufmerksamkeitsökonomie der algorithmisch gesteuerten Kommunikations- und Radikalisierungsmaschinen“. Von außen würden die westlichen Demokratien zusätzlich „durch den wachsenden autokratischen Revisionismus vor allem Russlands und Chinas herausgefordert“. Murad Erdemir warnte vor einer Spirale von Informationsmanipulation und Desinformationskampagnen, bei denen beispielsweise die Troll-Fabriken des Kremls eine zentrale Rolle spielen würden. Begünstigt werde deren manipulatorisches Vorgehen durch virale Verbreitung, gezielte Adressierbarkeit, Big Data und Künstliche Intelligenz. Der Chef der hessischen Landesmedienanstalt bezeichnete es als „schmalen Grat“, Hass, Hetze und Desinformation zu bekämpfen, „ohne die Redefreiheit gleich mit zu beerdigen“. Zunächst müsse es darum gehen, illegitime Informations- und Meinungsmanipulationen aufzudecken und erkennbar zu machen. Dafür sei investigativer Journalismus wichtig. Im nächsten Schritt müsse die Aufklärung derjenigen Menschen folgen, an die Manipulations- und Desinformationskampagnen adressiert würden, schlug Murad Erdemir vor.
Wie Russland versucht, mit seiner Auslandskommunikation Demokratien zu destabilisieren, erklärte Florian Töpfl. Der Professor der Universität Passau beobachtet als Inhaber des Lehrstuhls für Politische Kommunikation (Schwerpunkt: Osteuropa und die postsowjetische Region) seit 2019 im Rahmen des vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderten Projektes RUSINFORM die Auswirkungen der Digitalisierung auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland. Der Wissenschaftler zeigte eine Fülle von Kanälen auf, über die der Kreml seine Auslandspropaganda verbreitet. Dabei handle es sich um die „offiziellen Auslandsmedien“ RT und Sputnik, aber auch um russische TV-Inlandssender, die in Deutschland eine noch höhere Reichweite erzielen würden. Hinzu kämen die Aktivitäten von Bloggern und Trollfabriken, Hackern, Geheim- und Nachrichtendiensten oder Wissenschaftspropaganda.
Eine Studie, die das Publikum der Propaganda-Angebote von RT und Sputnik beleuchtete, habe ergeben, dass diese Angebote vor allem bei männlichen Nutzern im Alter von mehr als 34 Jahren großen Zuspruch fänden, berichtete Florian Töpfl. Monatlich besuchten mehr als drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland die RT-Website. Medienquellen, die sich in Inhalt, Produktion oder Verbreitung von etablierten Medien unterscheiden, würden an Beliebtheit gewinnen. Zahlreiche dieser sogenannten alternativen Medien in Deutschland seien organisatorisch, medial oder persönlich mit Russland verbunden. Das gelte etwa für Compact, Kla.tv oder auch eingeSCHENKt.TV. Deren Wirkung beruhe darauf, dass viele Menschen ein nicht-faktenbasiertes Wahrheitsverständnis hätten. Dies habe eine Untersuchung mit 42 Leitfaden-Interviews ergeben, bei denen russisch sprechende Deutsche befragt wurden. Dabei hätten viele Befragte Wahrheit als ein „moralisches und/oder identitätsbasiertes Konzept“ begriffen. Informationen aus dem Heimatland würden entsprechend kaum hinterfragt, referierte der Passauer Sozialwissenschaftler. Eine zweite Gruppe rezipiere Quellen aller Art in möglichst großer Zahl, um Wahrheit als Mitte zwischen widersprüchlichen Erzählungen zu begreifen. Wer hingegen überwiegend alternativen Medien vertraue, gehe davon aus, dass Wahrheiten in Nachrichtenmedien generell nicht existiere.
Um den Prozess der demokratischen Willensbildung in westlichen Demokratien zu schützen, müsse „unerwünschte Einflussnahme“ von außen abgewehrt und Qualitätsjournalismus gestärkt werden, lautete die Empfehlung von Florian Töpfl. Wichtig seien eine „wehrhafte demokratische Öffentlichkeit“ und eine „mutige Regulierung“, um Putins Propaganda mit deren oft „inhumanen Inhalten“ einzuschränken. Diese Ansicht vertrat auch Ralf Stettner. Der Leiter der Abteilung Cyber- und IT-Sicherheit im Hessischen Innenministerium und Chief Information Security Officer der hessischen Landesverwaltung plädierte für eine strengere Regulierung sowie bessere Vernetzung von Justiz, Verfassungsschutz, Polizei und anderen Behörden, um einer „erhöhten Bedrohungslage“ gerecht zu werden.
Die Propaganda Russlands sei lange unterschätzt worden, sagte Ralf Stettner. Der Direktor der Medienanstalt Hessen, Murad Erdemir, hatte in seiner Begrüßungsrede angemahnt, die nachvollziehbaren EU-Sanktionen gegen die Sendetätigkeiten von RT und Sputnik dürften angesichts der Medien- und Meinungsfreiheit in Europa nicht als „Blaupause für künftige Maßnahmen gegen unliebsame Medien und unliebsame Meinungen“ dienen. Ralf Stettner hob hervor, es gehe nicht um die Einschränkung freier Medien, sondern darum, Auslandspropaganda abzuwehren. Ähnlich argumentierte auch Sabrina Spieleder. Die Referentin in der Abteilung Strategische Kommunikation und Informationsanalyse beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) sagte, die EU-Verordnung sei „kein medienrechtlicher Schritt“ gewesen, sondern eine Maßnahme gegen die vom Kreml kontrollierten RT- und Sputnik-Outlets. Die vom Europäischen Gerichtshof bestätigten EU-Sendeverbote seien „speziell umrissene Maßnahmen“, die zurückgenommen werden könnten, wenn sich das Verhalten der russischen Staatsmedien RT und Sputnik ändere.
Florian Töpfl merkte an, es sei umstritten, ob das, was RT mache, überhaupt Journalismus sei: „Selbst die Chinesen sagen, dass RT kein Journalismus ist.“ Dass auch China auf Desinformation setzt, machte Paula Köhler klar, die als Policy Advisor für das Berliner Büro der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) arbeitet. Anders als der Kreml setze die chinesische Staatsführung vor allem auf die Verbreitung positiver Narrative. So versuche sich China als friedliebendes, verantwortungsbewusstes Mitglied der internationalen Gemeinschaft darzustellen.
Mit Blick auf den bedrohlichen Trend staatlicher Propaganda unterstrich Paula Köhler, Demokratien würden oft als sehr negativ geframt und müssten selbstbewusster auftreten. Sabrina Spieleder betonte, die Informationsmanipulation ausländischer staatlicher Akteure habe das Potenzial, Demokratie und Sicherheit zu gefährden. Trolle, Bots, gekaufte Likes und Retweets sowie Fake Websites würden dazu beitragen, dass Propaganda zunehmend öffentliche Informationsräume überschwemme.
Mit der Frage, wie Journalismus die Widerstandskraft gegen Informationsmanipulation stärken könnte, setzte sich die Journalistik-Professorin Katharina Kleinen-von Königslöw auseinander. Die Kommunikationswissenschaftlerin der Universität Hamburg machte darauf aufmerksam, ein Drittel der jungen Bevölkerung in Deutschland informiere sich hauptsächlich per Social Media. Dort aber sei der Anteil politischer Nachrichten sehr gering. Nachrichten würden im News Feed einerseits als „Snack News“ personalisiert, andererseits aber auch dekontextualisiert und rekontextualisiert. So gingen Abgrenzungen zwischen Information und Meinung verloren, würden alternative Nachrichten und Emotionen an Bedeutung gewinnen und müssten sich traditionelle Medienangebote an Reichweiten orientieren. In sozialen Online-Netzwerken seien bei der Auswahl und Bewertung von Nachrichten für die Nutzerinnen und Nutzer herkömmliche Strategien wenig hilfreich. Klassische Marken des Journalismus verlören an Bedeutung, Quellenprüfung und Orientierung würden oft am Filter-Bubble-Effekt scheitern, Algorithmen außerdem Bewegtbildinhalte und Emotionen in den Vordergrund spielen. Meist erfolge der Umgang mit Nachrichten in sozialen Online-Netzwerken emotional und unsystematisch. So entstehe eine Lücke zwischen einem „Gefühl der Informiertheit“ und der tatsächlichen Informiertheit. Dieser Prozess mache „uns sehr anfällig für Manipulationen durch Emotionen“, resümierte Katharina Kleinen-von Königslöw. Umso wichtiger sei der Kampf von Politik, Online-Plattformen und Journalismus gegen politische Manipulation. Strategien gegen Desinformation könnten subtile Impulse zur Verhaltensänderung („Nudging“) sein, aber auch eine Erhöhung der Medienkompetenz sowie öffentliche Gegenrede. Die Wirksamkeit von Fact Checking sei in diesem Zusammenhang oft begrenzt. Falsche Informationen würden nämlich oft besser erinnert als die dazu passenden Korrekturen. Außerdem sei Fact Checking meist nur dann erfolgreich, wenn durch die Ergebnisse eigene Einstellungen bestätigt würden.
In der anschließenden von Ingrid Scheithauer moderierten Diskussionsrunde wies Stephan Mündges, Co-Koordinator der Faktencheck-Organisation GADMO, darauf hin, Fact Checking trage nicht nur zur Orientierung bei, indem auf den zweifelhaften Wahrheitsgehalt von Informationen hingewiesen werde. Solche Warnungen könnten außerdem auch dazu führen, dass Suchmaschinen und andere Aggregatoren problematische Inhalte weniger algorithmisch priorisieren würden. Um die Wirkung von Fact Checking zu erhöhen, empfahl Stephan Mündges die Methode des „Truth-Sandwich“. Dabei erfolgt die Einleitung mit der Beschreibung des tatsächlichen Sachverhalts, bevor das Unrichtige korrigiert und abschließend das Eingangsargument wiederholt wird. Nina Pater, Managerin für medienübergreifenden Journalismus in der Programmdirektion des Hessischen Rundfunks, machte auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: „Das Traurige ist, dass Emotionen Fakten überbieten.“ Wer die Menschen erreichen wolle, müsse sich deshalb nach ihren Bedürfnissen richten. Dieser Aussage stimmte die Journalistik-Professorin Katharina Kleinen-von Königslöw zu, warnte aber davor, Inhalte so zu konfigurieren, dass sie allein den Metriken der Reichweiten-Orientierung und Aufmerksamkeitsökonomie folgen würden.
Zum Abschluss der fast vierstündigen Tagung, die auch online per Zoom gestreamt wurde, formulierte der Soziologe Nils C. Kumkar einen „Denkzettel“, in dem er unserer Gesellschaft eine „manifeste Wahrheitskrise“ attestierte. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am SOCIUM – Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen erkannte ein „mangelndes Vertrauen in das Medienvertrauen der anderen“. Hinzu komme, dass meist zunächst eine Meinung existiere und dann die passenden Informationen ausgewählt würden. „Wir tendieren dazu, den Einfluss von Informationen auf Meinungen zu unterschätzen“, lautete Kumkars Diagnose. So könnten sich dann online Verschwörungstheorien und Desinformation voller inkonsistenter Argumente verbreiten, die sich allein deshalb durchsetzen würden, weil es nicht um die Fakten, sondern um emotionale Kritik am Gesellschaftssystem oder um gesellschaftliche Konflikte gehe.
Dass Desinformation und „alternative Fakten“ an Bedeutung gewinnen würden, liege an den ungeahnten Manipulationsmöglichkeiten und deren Sichtbarkeit in digitalen Kommunikationsräumen, fasste Nils C. Kumkar zusammen. Begünstigt werde diese Gefahr für die Demokratie durch eine Reihe existenzieller Krisen, ausgelöst durch die Bedrohung unseres Klimas, die Corona-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine. Bei der Behandlung der „medialen Nebenwirkungen“ dieser Krisen könne der Kampf gegen Desinformation auch dysfunktional sein. Wer nämlich nachdrücklich immer wieder auf Wahrhaftigkeit dränge, könne leicht Vertrauen verlieren, weil ihm unterstellt werde, er habe etwas zu verbergen. Wer sich für Vertrauen in die Demokratie und gegen Verschwörungstheorien einsetzen wolle, der müsse folgenden Zusammenhang bedenken: „Leute streiten selten, weil sie etwas nicht verstanden haben, sondern sie streiten meistens, weil sie ein Problem haben, das wir nicht verstanden haben.“
Matthias Kurp
Matthias Kurp ist Professor an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln
Das forum-medienzukunft ist eine Veranstaltungsreihe der Medienanstalt Hessen und befasst sich in seinen jährlichen Ausgaben mit Veränderungen und Umbrüchen in Medien und Gesellschaft, die die Digitalisierung auslösen, und daraus resultierenden Herausforderungen.
Weitere Informationen unter https://forum-medienzukunft.de
Rückfragen an: Büro Ingrid Scheithauer | Zedernweg 5 | D-53340 Meckenheim
Ulrike Oertel | Tel. 0160 73 74 624 | oertel@ingridscheithauer.de
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